Die in einem Grundstückskaufvertrag enthaltene Erklärung des Verkäufers, ihm seien keine unsichtbaren Mängel bekannt, rechtfertigt keine Abweichung von dem Grundsatz, dass den Käufer die Darlegungs- und Beweislast für die unterbliebene Aufklärung über offenbarungspflichtiger Umstände trifft (Bestä-tigung von Senat, Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380).

BGH URTEIL V ZR 2/19 vom 6. März 2020

BGB § 123 Abs. 1, § 444

BGH, Urteil vom 6. März 2020 – V ZR 2/19 – OLG Koblenz

LG Mainz

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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2020 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des 12. Zivil-senats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. Dezember 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 24. Juli 2013 verkauften die Beklagten zu einem Preis von 120.000 € unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel den Klägern ein Grundstück, das u. a. mit einem Wochenendhaus und einer Motor-radgarage bebaut ist. Die Motorradgarage ist mit dem Wochenendhaus verbun-den und wurde als Wohnraum genutzt. Mitverkauft wurde nach dem Kaufver-trag u.a. der „Fernseher aus dem Wohnzimmer“. Unter den sonstigen Vereinba-rungen ist ausgeführt, dass der Grundbesitz in dem Zustand verkauft wird, in
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dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden hat. Zudem enthält der Ver-trag die Erklärung, dass den Beklagten keine „unsichtbaren Mängel“ bekannt sind.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 teilte die Bauaufsichtsbehörde den Klägern mit, dass die Motorradgarage ohne Genehmigung zu Wohnzwecken genutzt werde, wodurch die für die Nutzung als Wochenendhaus zulässige Grundfläche von 70 qm deutlich überschritten sei. Die Nebengebäude befänden sich außerhalb der überbaubaren Fläche. Es sei beabsichtigt, gegen die bau-rechtswidrigen Zustände vorzugehen, insbesondere sei daran gedacht, den Rückbau auf das zulässige Maß zu verfügen. Die Kläger erklärten daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung.
Die Kläger verlangen von den Beklagten die Rückzahlung des Kaufprei-ses Zug um Zug gegen Rückübereignung des Grundstücks, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten bezüglich der Rückübereignung, die Zah-lung von Schadensersatz in Höhe von 11.057,33 €, die Erstattung vorgerichtli-cher Anwaltskosten und die Freistellung von sämtlichen Kosten und Ansprü-chen, die ihnen gegenüber durch die Bauaufsichtsbehörde geltend gemacht worden sind oder noch geltend gemacht werden. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kläger beantra-gen, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten den Kaufvertrag wirksam angefochten, weil die Beklagten ihnen vor und bei Vertragsschluss arglistig ver-schwiegen hätten, dass ein Teil der auf dem Grundstück befindlichen Räum-lichkeiten mangels einer bauaufsichtsrechtlichen Genehmigung nicht zu Wohn-zwecken genutzt werden dürfe. Die Beklagten hätten zwar behauptet, den Klä-gern bereits bei der ersten Besichtigung erklärt zu haben, dass der Anbau nicht als Wohnraum genehmigt, aber ein Antrag auf Nutzungsänderung gestellt sei, und den Klägern bei einer weiteren Besichtigung auch einen Lageplan überge-ben zu haben, aus dem die baurechtliche Situation zu erkennen gewesen sei. Diese Behauptungen hätten sie aber nicht bewiesen. Zwar seien die Kläger für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung – was auch die Verletzung einer Of-fenbarungspflicht umfasse – darlegungs- und beweisbelastet. Hier sei aber be-reits aufgrund des notariellen Kaufvertrages der von den Klägern zu erbringen-de Beweis einer Verletzung der Aufklärungspflicht geführt. So heiße es in dem Kaufvertrag, dass der Fernseher aus dem „Wohnzimmer“ mitverkauft sei. Wei-ter sei nach dem Vertrag der Grundbesitz in dem Zustand verkauft worden, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe. Die notarielle Urkunde enthalte an keiner Stelle einen Hinweis auf die unerlaubte Wohnnutzung des Anbaus und eine (vermeintliche) Offenlegung dieses Umstands gegenüber den Klägern sowie des von den Beklagten eingeleiteten bauaufsichtlichen Verfah-rens über eine Nutzungsänderung. Die Behauptung der Beklagten, die Kläger seien über die fehlende Genehmigung der Nutzung der Garage als Wohnraum unterrichtet worden, werde daher durch die Vertragsurkunde widerlegt. Für den Inhalt der Urkunde spreche die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit.
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Vor diesem Hintergrund hätten die Beklagten beweisen müssen, dass eine Auf-klärung der Kläger erfolgt sei. Das Landgericht sei nach durchgeführter Be-weisaufnahme rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass den Beklag-ten dies nicht gelungen sei. Gegen die Darstellung der Beklagten sprächen auch die weiteren, aus der Aktenlage objektiv erkennbaren Umstände. Unrichtig sei etwa auch die in dem Notarvertrag enthaltene Erklärung der Beklagten, dass ihnen unsichtbare Mängel nicht bekannt seien. Das Vorbringen der Be-klagten als wahr unterstellt, hätte spätestens an dieser Stelle ein Hinweis auf den baurechtswidrigen Zustand erfolgen müssen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Beru-fungsgericht gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Aufklärungs-pflicht durch die Beklagten nicht angenommen werden.
1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass im Falle einer wirksamen Anfechtung wegen arglistiger Täu-schung ein Anspruch der Kläger auf Rückabwicklung des Vertrages (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) und auf Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsät-zen der Haftung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) in Betracht kommt (vgl. Senat, Urteil vom 3. Mai 2002 – V ZR 175/01, NJOZ 2002, 1888, 1889 mwN).
2. Weiterhin legt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler zugrunde, dass die objektive Seite einer arglistigen Täuschung regelmäßig gegeben ist, wenn Räume als Wohnraum angepriesen werden, obwohl die für eine solche Nutzung notwendige baurechtliche Genehmigung nicht vorliegt. Denn die Baubehörde
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kann die Nutzung jedenfalls bis zur Erteilung der Genehmigung untersagen – und zwar unabhängig davon, ob eine Genehmigung unter Zulassung einer Ausnahme hätte erteilt werden können (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 – V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 10 mwN). Nach den – von den Beklagten nicht angegriffenen – Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die Motorradgara-ge erkennbar als Wohnraum genutzt und der Kaufgegenstand auch mit dieser Nutzung angepriesen, obwohl die erforderliche bauaufsichtsrechtliche Geneh-migung nicht vorlag.
3. Für den Fall unterbliebener Aufklärung geht das Berufungsgericht fer-ner zu Recht von dem Vorliegen der subjektiven Seite arglistigen Handelns sei-tens der Beklagten aus. Arglistig handelt ein Verkäufer, wenn er den Fehler mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billi-gend in Kauf nimmt, dass sein Vertragspartner den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlos-sen hätte (Senat, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 73/18, ZIP 2019, 2115 Rn. 11 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagten haben ausweis-lich der Feststellungen des Berufungsgerichts eine Kenntnis von den bauord-nungswidrigen Zuständen nicht in Abrede gestellt. Auch dies nehmen die Be-klagten im Rahmen des Revisionsverfahrens hin.
4. Die Revision rügt indessen zu Recht, dass dem Berufungsgericht ein Rechtsfehler insoweit unterlaufen ist, als es den Beklagten die Beweislast für die von ihnen behauptete Aufklärung über die bauordnungswidrige Wohnnut-zung zugewiesen hat.
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a) Im Ausgangspunkt sieht das Berufungsgericht noch zutreffend, dass derjenige, der einen Vertrag wegen arglistiger Täuschung anficht, die Darle-gungs- und Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Umstände, die den Arglist-tatbestand ausfüllen, trifft (vgl. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2000 – V ZR 285/99, NJW 2001, 64, 65), wozu bei einer Täuschung durch Verschweigen auch die fehlende Offenbarung gehört (vgl. zur parallel gelagerten Fragestel-lung im Rahmen des § 444 BGB: Senat, Urteil vom 12. November 2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43 Rn. 12). Bei der behaupteten unterbliebenen Offenba-rung handelt es sich um eine negative Tatsache; dem Käufer kommen daher Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute. Er muss, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen, nicht alle theore-tisch denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen; es reicht vielmehr aus, die von dem Verkäufer in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise sub-stantiiert darzulegende Aufklärung ausräumen, d. h. zu widerlegen. Gelingt dies, ist der Beweis der negativen Tatsache erbracht (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 – V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 13; Urteil vom 12. November 2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43 Rn. 12; Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382 a.E.).
b) Das Berufungsgericht hat diese Beweislastregel jedoch fehlerhaft an-gewandt. Entgegen seiner Auffassung ist es aufgrund des Inhalts des notariel-len Kaufvertrages nicht gerechtfertigt, von dem geschilderten Grundsatz abzu-weichen und den Beklagten die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass sie die Kläger über den bauordnungswidrigen Zustand des Kaufobjekts aufgeklärt ha-ben.
aa) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Erklärung der Beklagten zu un-sichtbaren Mängeln. Der Senat hat bereits entschieden, dass die in einem
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Grundstückskaufvertrag enthaltene Erklärung des Verkäufers, ihm seien keine unsichtbaren Mängel bekannt, keine Abweichung von dem Grundsatz rechtfer-tigt, dass den Käufer die Darlegungs- und Beweislast für die unterbliebene Auf-klärung über offenbarungspflichtiger Umstände trifft (Senat, Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382). Einer solchen Erklärung kommt kein Beweiswert in Bezug auf eine von dem Verkäufer behauptete Aufklärung zu. Hat diese Aufklärung stattgefunden, liegt es nämlich nahe, dass der Verkäu-fer nicht länger von einem „unsichtbaren“ Mangel ausgegangen ist.
Hieran vermag auch die von dem Berufungsgericht herangezogene Ver-mutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Kaufvertragsurkunde nichts zu ändern. Sie erstreckt sich nur auf die vollständige und richtige Wiedergabe der getroffenen Vereinbarungen. Dagegen gilt sie nicht für die bei Besichtigungen und Vertragsverhandlungen erteilten Informationen; diese bedürfen nicht der notariellen Vereinbarung und nehmen daher an der Vermutung der Vollständig-keit und Richtigkeit der notariellen Urkunde nicht teil (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 – V ZR 171/10, VersR 2012, 452 Rn. 17 insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 190, 272; Urteil vom 13. Juni 2008 – V ZR 114/07, NJW 2008, 2852 Rn. 17; Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382).
bb) Auch die weiteren von dem Berufungsgericht herangezogenen Be-stimmungen des Kaufvertrags rechtfertigen keine Umkehr der Beweislast. Für die dem Käufer obliegende Beweisführung, dass ihm bestimmte Informationen von dem Verkäufer vor Vertragsschluss nicht gegeben worden seien, kann der Inhalt des Kaufvertrags nur eine – je nach den Umständen mehr oder minder große – indizielle Bedeutung haben (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 – V ZR 171/10, aaO; Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 100/02, aaO). Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die Vereinbarung, der Grundbesitz werde in dem
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Zustand verkauft, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe, ohnehin keine Rückschlüsse darauf zulässt, welche Informationen den Klägern in Bezug auf die Zulässigkeit der Wohnraumnutzung vor Vertragsschluss gege-ben worden sind, und dass der Begriff „Wohnzimmer“ unter „Gegenstand des Kaufvertrages“ in erster Linie zur Individualisierung des mitverkauften Fernse-hers verwendet worden sein dürfte.
c) Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist entscheidungserheblich. Es beschränkt seine Aussage, an der Beweiswürdigung des Landgerichts be-stünden keine Zweifel, ausdrücklich darauf, dass den Beklagten nicht der Be-weis für ihre Behauptung gelungen sei, die Kläger im Rahmen der vorvertragli-chen Verhandlungen wahrheitsgemäß über den baurechtlichen Zustand des Kaufobjekts aufgeklärt zu haben. Ob es – wie vom Landgericht angenommen – den Klägern gelungen ist, die von den Beklagten behauptete Aufklärung zu wi-derlegen, hat das Berufungsgericht hingegen nicht geprüft.
III.
Der angefochtene Beschluss kann hiernach keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Se-nat vorsorglich auf Folgendes hin:
Die bei den Klägern liegende Beweislast für die unterbliebene Offenba-rung kehrt sich auch dann nicht um, wenn die Aufklärung dazu gedient haben soll, einen zuvor durch aktives Tun der Beklagten hervorgerufenen Irrtum zu
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beseitigen (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 – V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 14 mwN).
Das Berufungsgericht wird daher zunächst zu prüfen haben, ob es den Klägern auf der Grundlage der bisherigen Beweiserhebung nach seiner Über-zeugung gelungen ist, die von den Beklagten behauptete Aufklärung – durch einen Hinweis anlässlich des ersten Besichtigungstermins und die spätere Vor-lage des Lageplans (Anlage B 1) – auszuräumen. Wenn sich das Berufungsge-richt von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu über-zeugen vermag, ist es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht gebun-den, sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nicht nur berechtigt, son-dern verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 2019 – V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rn. 65).