In einem durch landwirtschaftliche Geruchsimmissionen vorbelasteten Gebiet steht
§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB der Errichtung eines Ferkelaufzuchtstalles nicht entgegen,
wenn durch das Vorhaben die vorhandene Immissionssituation zumindest
nicht verschlechtert wird, sofern die Vorbelastung die Grenze zur Gesundheitsgefahr
noch nicht überschritten hat und das – immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige
– Vorhaben den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genügt.

VwGO § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 137 Abs. 1 und 2, § 141
Satz 1, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
BauGB § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1
GeruchsimmissionsRichtlinie

In einem durch landwirtschaftliche Geruchsimmissionen vorbelasteten Gebiet steht
§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB der Errichtung eines Ferkelaufzuchtstalles nicht entgegen,
wenn durch das Vorhaben die vorhandene Immissionssituation zumindest
nicht verschlechtert wird, sofern die Vorbelastung die Grenze zur Gesundheitsgefahr
noch nicht überschritten hat und das – immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige
– Vorhaben den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genügt.

Urteil des 4. Senats vom 27. Juni 2017 – BVerwG 4 C 3.16

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT URTEIL BVerwG 4 C 3.16

Auf die Revision des Beigeladenen wird das Urteil des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juni
2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht
zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
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G r ü n d e :
I
Gegenstand des Verfahrens ist die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung
zum Neubau eines Ferkelaufzuchtstalles für 1 920 Ferkel, drei Futtermittelsilos
und eines Güllebehälters.
Der Beigeladene ist Landwirt und betreibt u.a. Ferkelaufzucht. Seine Hofstelle
befindet sich in einer Ortsrandlage von B.-H. Die Klägerin ist Eigentümerin eines
Grundstücks in B.-H. Das Grundstück liegt am nördlichen Rand des Ortskerns
und grenzt an den Außenbereich. Die Klägerin betreibt dort ein Fotoatelier
und hält Pferde. In einem Abstand von ca. 50 m südwestlich davon befindet
sich ein landwirtschaftlicher Betrieb; das Baugrundstück liegt in einer Entfernung
von ca. 160 m nordöstlich des Grundstücks der Klägerin. Insgesamt sind
im Ortsteil H. neun landwirtschaftliche Betriebe ansässig, die zumeist südlich
des klägerischen Grundstücks in einer Entfernung von bis zu 600 m liegen. In
sechs Betrieben werden Rinder gehalten, in den übrigen überwiegend Schweine.
Widerspruch und erstinstanzliche Klage gegen die Baugenehmigung blieben
erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts
geändert und die Baugenehmigung aufgehoben. Der Bescheid sei rechtswidrig,
denn das Bauvorhaben verstoße zulasten der Klägerin gegen das Gebot der
Rücksichtnahme. Die Immissionsbelastung an deren Wohngrundstück sei aktuell
bereits so erheblich, dass keine weiteren emittierenden Betriebe mehr zugelassen
werden könnten. Das gelte selbst dann, wenn – wie hier – das Vorhaben
zu einer (leichten) Verbesserung der Geruchsbelastung am klägerischen
Grundstück führe.
Gegen das Berufungsurteil hat der Beigeladene die vom Senat zugelassene
Revision eingelegt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Oberverwaltungsgericht
habe das Rücksichtnahmegebot fehlerhaft angewendet und
die bestehenden Vorbelastungen nicht schutzmindernd berücksichtigt. Das an-
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– 4 –
gefochtene Urteil sei auch deshalb zu beanstanden, weil das Berufungsgericht
die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) strikt – rechtssatzartig – angewendet
habe. Die GIRL sei aber keine Rechtsnorm, sondern ein antizipiertes Sachverständigengutachten
und enthalte nur Orientierungswerte, keine Grenzwerte.
Daher verbiete sich eine pauschale oder sklavische Anwendung. Mit seiner Auffassung
schneide das Oberverwaltungsgericht die Berücksichtigung von Einzelumständen
weitgehend ab.
Der Beklagte schließt sich der Stellungnahme des Beigeladenen an. Die Klägerin
tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision des Beigeladenen, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141
Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt
Bundesrecht (1.). Zur Entscheidung in der Sache bedarf es weiterer tatsächlicher
Feststellungen. Das Verfahren ist deshalb nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückzuverweisen (2.).
1. Die auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gestützte Aufhebung
der Baugenehmigung verstößt gegen Bundesrecht.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dass das Grundstück der Klägerin bereits
jetzt unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen ausgesetzt sei. Jedes
neue Bauvorhaben müsse darauf überprüft werden, ob es mit den geltenden
Vorschriften im Einklang stehe, und zwar unabhängig davon, ob sich die vorhandene
Situation „zum Schlechten“ verändere oder – wie hier – sogar leicht
verbessere. Die Geruchsimmissions-Richtlinie, die in Genehmigungsfällen für
Tierhaltungsbetriebe heranzuziehen sei, sehe für ein Dorfgebiet eine Geruchshäufigkeit
von 15 % der Jahresstunden als zumutbar an und trage damit bereits
dem Umstand Rechnung, dass Dorfgebiete sowohl der Landwirtschaft als auch
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– 5 –
dem sonstigen Wohnen dienten. Am Grundstück der Klägerin betrage die Geruchsfracht
nach dem im Baugenehmigungsverfahren eingeholten Geruchsgutachten
bereits jetzt 34,7 % der Jahresstunden, nach Verwirklichung des Vorhabens
des Beigeladenen werde sie bei 33,7 % liegen. Es sei nicht erkennbar,
dass hier eine von den Vorgaben der Geruchsimmissions-Richtlinie abweichende
Einschätzung – auch im Hinblick auf die leichte Verbesserung, die zu erwarten
sei – zugrunde zu legen wäre. Auch wenn das Grundstück der Klägerin bis
in die 1980er Jahre landwirtschaftlich genutzt worden sei und an den Außenbereich
angrenze, könne es hinsichtlich der hinzukommenden Geruchsfrachten
nicht mit einem im Außenbereich liegenden ehemalig oder aktiv landwirtschaftlich
genutzten Grundstück gleichgesetzt und damit einer weit über 20 % der
Jahresstunden liegenden Geruchsfracht ausgesetzt werden.
Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, ein landwirtschaftliches Vorhaben
verletze das Gebot der Rücksichtnahme zulasten eines Wohngebäudes
bereits dann, wenn es in einer erheblich über den in der Geruchsimmissions-
Richtlinie genannten Werten vorbelasteten Umgebung verwirklicht werden soll,
und zwar selbst dann, wenn durch das Vorhaben die bestehende Belastung
nicht erhöht, sondern sogar leicht gesenkt werde, ist mit Bundesrecht unvereinbar.
Das Gebot der Rücksichtnahme ist kein generelles Rechtsprinzip des öffentlichen
Baurechts und verkörpert auch keine allgemeine Härteregelung, die über
den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen
Baurechts steht. Es ist vielmehr Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften
des Baurechts (BVerwG, Urteil vom 30. September 1983 – 4 C 74.78 –
BVerwGE 68, 58 <60>) und als solches in den Tatbestandsmerkmalen der
§§ 30 bis 35 BauGB und des § 15 Abs. 1 BauNVO enthalten (BVerwG, Urteil
vom 30. September 1983 a.a.O.). Es ist gegenüber anderen (ausdrücklich und
von vornherein) nachbarschützenden Vorschriften subsidiär.
Bei Außenbereichsvorhaben hat das Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf
„schädliche Umwelteinwirkungen“ in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB eine ausdrückliche
Regelung erfahren (BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1999 – 4 B
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38.99 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 160 = juris Rn. 6; siehe auch Urteil
vom 21. Januar 1983 – 4 C 59.79 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 196 = juris
Rn. 13); im Übrigen ist es, soweit es nicht um (schädliche) Immissionen geht,
sondern um sonstige nachteilige Wirkungen eines Außenbereichsvorhabens,
ein ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1
BauGB (BVerwG, Beschlüsse vom 5. September 2000 – 4 B 56.00 – Buchholz
406.11 § 35 BauGB Nr. 344 und vom 28. Juli 1999 – 4 B 38.99 – Buchholz
406.19 Nachbarschutz Nr. 160). Hieraus folgt, dass das Vorhaben des Beigeladenen
zuvörderst an § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu messen ist. Das hat
das Oberverwaltungsgericht verkannt.
Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB stehen einem nach § 35 Abs. 1 BauGB
privilegiert zulässigen Außenbereichsvorhaben öffentliche Belange unter anderem
dann entgegen, wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen
kann. Die Vorschrift verweist auf die Begriffsbestimmung der schädlichen Umwelteinwirkung
in § 3 Abs. 1 BImSchG (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977
– 4 C 22.75 – BVerwGE 52, 122 <126>; Beschluss vom 2. August 2005 – 4 B
41.05 – BRS 69 Nr. 102), worunter auch Geruchsimmissionen fallen, die nach
Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit
oder die Nachbarschaft herbeizuführen (BVerwG, Urteil vom 21. Dezember
2011 – 4 C 12.10 – BVerwGE 141, 293 Rn. 22). Ist die Schwelle der Erheblichkeit
– wie bei Geruchsimmissionen – nicht durch Gesetz, Rechtsverordnung
oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift bestimmt, kommt es
darauf an, ob die Immissionen das nach der gegebenen Situation zumutbare
Maß überschreiten. Die Zumutbarkeitsgrenze ist auf Grund einer umfassenden
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der speziellen
Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebiets zu bestimmen (BVerwG, Urteil vom
21. Dezember 2011 a.a.O.). Der Schutz vor Immissionen im Bauplanungsrecht
über § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ist dabei kein anderer und fällt nicht geringer
aus als der Schutz vor Immissionen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz
(vgl. BVerwG, Urteile vom 30. September 1983 – 4 C 74.78 –
BVerwGE 68, 58 <60>, vom 30. September 1983 – 4 C 18.80 – Buchholz 406.25
§ 5 BImSchG Nr. 8 S. 26 <28> = juris Rn. 13, vom 24. September 1992 – 7 C
7.92 – Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22 = juris Rn. 17 und vom 7. August
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2012 – 7 C 7.11 – Buchholz 406.25 § 15 BImSchG Nr. 9 = juris Rn. 19 m.w.N.;
Beschluss vom 22. Februar 1988 – 7 B 28.88 – Buchholz 406.25 § 5 BImSchG
Nr. 11 S. 1 <2> = juris Rn. 3). All dies ist gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. August 2005 – 4 B
41.05 – ZfBR 2005, 806 = BauR 2005, 1900 = juris Rn. 3). Ebenso ist geklärt,
dass für die Beurteilung der Zumutbarkeit der von Schweineställen verursachten
Gerüche als Orientierungshilfe auch auf die Geruchsimmissions-Richtlinie
(vgl. etwa Nds.MBl. 2009 S. 795 ff.) zurückgegriffen werden darf (BVerwG, Urteil
vom 21. Dezember 2011 a.a.O.). Dabei verbietet sich allerdings jede schematische
Anwendung bestimmter Immissionswerte (BVerwG, Beschluss vom
17. Juli 2003 – 4 B 55.03 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 166 = juris
Rn. 8).
Bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Belästigungen sind etwaige Vorbelastungen
schutzmindernd zu berücksichtigen, die eine schutzbedürftige Nutzung
an einem Standort vorfindet, der durch eine schon vorhandene emittierende
Nutzung vorgeprägt ist (BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 1979 – 4 C
10.77 – BVerwGE 59, 253 <260>, vom 22. März 1985 – 4 C 63.80 – BVerwGE
71, 150 <155 ff.>, vom 22. Mai 1987 – 4 C 33-35.83 – BVerwGE 77, 285
<292 ff.>, vom 23. Mai 1991 – 7 C 19.90 – BVerwGE 88, 210 = juris Rn. 10, vom
21. Dezember 2010 – 7 A 14.09 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 81 = juris
Rn. 28 ff. und vom 29. November 2012 – 4 C 8.11 – BVerwGE 145, 145 Rn. 16).
Im Umfang der Vorbelastung sind Immissionen zumutbar, auch wenn sie sonst
in einem vergleichbaren Gebiet nicht hinnehmbar wären (vgl. BVerwG, Urteile
vom 22. Juni 1990 – 4 C 6.87 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 261, vom
29. Januar 1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 <357> und vom 23. Mai 1991
– 7 C 19.90 – BVerwGE 88, 210). Soll in einem erheblich vorbelasteten Gebiet
ein weiteres emittierendes Vorhaben zugelassen werden, ist das nach der
Rechtsprechung des Senats jedenfalls dann möglich, wenn hierdurch die vorhandene
Immissionssituation verbessert oder aber zumindest nicht verschlechtert
wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1998 – 4 C 5.98 – Buchholz 406.11
§ 34 BauGB Nr. 190 = juris Rn. 31), sofern die Vorbelastung die Grenze zur
Gesundheitsgefahr noch nicht überschritten hat (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und
das – immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige – Vorhaben den
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Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genügt (BVerwG, Urteile vom 21. Januar
1983 – 4 C 59.79 – ZfBR 1983, 139 <140> = juris Rn. 14 und vom 22. Juni
1990 – 4 C 6.87 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 261 = juris Rn. 29 ff.). Sind
diese Voraussetzungen erfüllt, steht § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB dem Vorhaben
nicht entgegen.
Mit diesen bundesrechtlichen Maßstäben ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts
nicht vereinbar. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Geruchsbelastung
am Wohnhaus der Klägerin zwar erheblich über den einschlägigen
Werten der Geruchsimmissions-Richtlinie liegt, die Grenze zur Gesundheitsgefahr
aber noch nicht überschritten ist. Mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen
ist der Senat hieran gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Ferner hat
es festgestellt, dass sich die Geruchsfracht am Grundstück der Klägerin von
derzeit 34,7 % der Jahresstunden nach Verwirklichung des Vorhabens auf
33,7 % der Jahresstunden reduziert. Auch diese Feststellung ist für den Senat
bindend, denn die von der Klägerin in der Form der Gegenrüge erhobenen Aufklärungsrügen
genügen schon nicht den Darlegungserfordernissen gemäß
§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO (siehe hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 17. November
2016 – 9 B 51.16 – juris Rn. 10 m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen
durfte die Baugenehmigung ohne Prüfung des § 22 Abs. 1 BImSchG nicht aufgehoben
werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat seine gegenteilige Auffassung auch darauf
gestützt, dass eine erhebliche Überschreitung der in der Geruchsimmissions-
Richtlinie vorgesehenen Werte auf unabsehbare Dauer festgeschrieben würde,
wenn Baumaßnahmen ermöglicht werden, die sich zwar jeweils unterhalb der
durch die Vorbelastung gezogenen Grenze bewegten, aber nicht zu spürbaren
Verbesserungen führten. Das verkennt den rechtlichen Maßstab. Das Berufungsgericht
übersieht, dass die Geruchsimmissions-Richtlinie nicht rechtssatzartig,
insbesondere nicht im Sinne einer Grenzwertregelung, sondern nur als
Orientierungshilfe angewendet werden darf (BVerwG, Urteil vom 21. Dezember
2011 – 4 C 12.10 – BVerwGE 141, 293 Rn. 22) und dass sie auf nicht genehmigungsbedürftige
Anlagen nach Nr. 1 Abs. 4 nur sinngemäß Anwendung findet.
Maßgeblich für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze sind folglich die kon-
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kreten Umstände des Einzelfalls, die einer umfassenden Würdigung zu unterziehen
sind. Hiervon geht im Übrigen, ohne dass dem normativer Gehalt beizumessen
wäre, auch die Geruchsimmissions-Richtlinie aus. Nach deren
Nr. 3.1 Abs. 5 reicht ein Vergleich mit den Immissionswerten nicht immer zur
Beurteilung der Erheblichkeit der Belästigung aus. Regelmäßiger Bestandteil
der Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen sei deshalb im Anschluss
an die Bestimmung der Geruchshäufigkeit die Prüfung, ob Anhaltspunkte
für die Notwendigkeit einer Prüfung nach Nr. 5 für den jeweiligen Einzelfall
bestünden. Gemäß Nr. 5 ist zu berücksichtigen, dass die Grundstücksnutzung
mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sein könne, mit der
Folge, dass die oder der Belästigte im höheren Maße Geruchseinwirkungen
hinnehmen müsse. Die Auffassung des Berufungsgerichts könnte im Übrigen
auch zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führen. Denn es ist nicht gerechtfertigt,
demjenigen, der sein Grundstück in einer baurechtlich zulässigen Weise
bebauen will, dieses Recht nur deshalb vorzuenthalten, weil die Betreiber emittierender
Anlagen die ihnen gesetzlich obliegenden Pflichten nicht erfüllen und
die zuständige Behörde nichts tut, sie dazu anzuhalten (BVerwG, Urteil vom
18. Mai 1995 – 4 C 20.94 – BVerwGE 98, 235 = juris Rn. 27).
2. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob das Vorhaben
des Beigeladenen den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG entspricht.
Das zwingt zur Zurückverweisung der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
VwGO).
Für das durchzuführende Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass
das Oberverwaltungsgericht auch der Frage nachzugehen haben wird, ob die
Baumaßnahme des Beigeladenen im Hinblick auf die hiermit im Zusammenhang
stehenden Änderungen an bereits bestehenden Ställen der Durchführung
einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedurft hätte (zur sogenannten nachträglichen
Kumulation siehe etwa BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 – 4 C 4.14 –
BVerwGE 152, 219); auf das Fehlen einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung
könnte sich die Klägerin berufen (BVerwG, Urteil vom 18. Juni
2015 a.a.O. Rn. 8). Ferner wird zu klären sein, ob die am Grundstück der Klägerin
als Vorbelastung festgestellte Geruchsfracht sich rechtmäßig betriebenen,
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mithin entsprechend genehmigten Anlagen zuordnen lässt. Denn nur in diesem
Umfang wirken Vorbelastungen schutzmindernd (BVerwG, Urteil vom 22. Juni
1990 – 4 C 6.87 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 261 = juris Rn. 32; siehe
auch Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 3 Rn. 59).

 

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