Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung tragend darauf gestützt, dass
die streitbefangene Mauer außerhalb des im Bebauungsplan festgesetzten Baufensters
liege und daher gegen das Verbot sämtlicher Nebenanlagen nach der bauplanungsrechtlichen
Festsetzung A 6 verstoße.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT – 1 BvR 1521/17 – vom 13.5.2020

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der P… GmbH & Co. KG,
vertreten durch die P… Verwaltungsgesellschaft mbH,
diese vertreten durch die Geschäftsführer,
gegen a) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
7. Juni 2017 – 3 S 816/17 -,
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 1. Dezember 2016 – 9
K 4025/15 -,
c) den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom
30. Juli 2015 – 21-2621.1 / 09 P… 05 -,
d) den Ergänzungsbescheid der Stadt Ludwigsburg vom 21. Mai 2015 –
10000373 -,
e) die baurechtliche Entscheidung der Stadt Ludwigsburg vom 1. März
2013 – 10000373 –
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Masing,
Paulus,
Christ
am 13. Mai 2020 einstimmig beschlossen:

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1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
7. Juni 2017 – 3 S 816/17 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem
Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz. Der Beschluss wird
aufgehoben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof Baden-
Württemberg zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
angenommen.
3. Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen
Auslagen zu erstatten.
4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das
Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend
Euro) festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine baurechtliche Abbruchsanordnung.
1. Die Beschwerdeführerin, eine Bauträgergesellschaft, erhielt von der Beklagten
des Ausgangsverfahrens, der Stadt L., eine Baugenehmigung zur Errichtung von vier
Mehrfamilienhäusern. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines aus dem Jahre
1968 stammenden Bebauungsplans. Der Bebauungsplan enthält neben planungsrechtlichen
Festsetzungen (Abschnitt A des Textteils) auch örtliche Bauvorschriften
(Abschnitt B des Textteils). Diese lauten – soweit vorliegend von Interesse – wie
folgt:
[…]
A.6: Nebenanlagen unzulässig
[…]
[…]
B.7: Einfriedung
An den Straßen und öffentlichen Wegen, Holzzaun oder Lebendhecke
bis 1,0 m Höhe.
Andere nicht an den Straßen und öffentlichen Wegen liegende Einfriedungen
höchstens 1,0 m hoch.
[…]
Die Beschwerdeführerin errichtete die Häuser sowie – entlang der Grenze zu einer
Straße – eine circa 46 Meter lange und 1,8 Meter hohe Mauer aus Sichtbeton. Nach
Fertigstellung des Bauvorhabens veräußerte sie das Grundstück in Form von Woh-
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nungseigentum.
2. Im Nachgang einer Baukontrolle erließ die beklagte Stadt eine Abbruchsanordnung
hinsichtlich der errichteten Mauer. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung
der Berufung ab. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergäben sich
keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
II.
1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die behördlichen Entscheidungen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts und den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs.
Sie rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14
Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Insbesondere überspanne der Verwaltungsgerichtshof
die Anforderungen an die Zulassung der Berufung und lasse insoweit das Rechtsmittel
„leerlaufen“. Sie habe ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen
Entscheidung dargelegt, da sie die tragende Urteilsbegründung mit schlüssigen
Gegenargumenten in Frage gestellt habe.
2. Das Land Baden-Württemberg und die beklagte Stadt hatten Gelegenheit zur
Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde – soweit sie sich gegen den Beschluss
des Verwaltungsgerichtshofs richtet und eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4
GG hinsichtlich des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO gerügt wird –
zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte
der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden; danach ist die Verfassungsbeschwerde
im genannten Umfang offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz
1 BVerfGG).
a) Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg,
der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein.
Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des
Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst
wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung
gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 113, 273 <310>; 129, 1 <20>; stRspr). Aus dem
Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergeben sich Anforderungen
an die gerichtliche Handhabung des Rechtsmittelrechts. Zwar gewährleistet
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keinen Anspruch auf die Errichtung eines Instanzenzuges.
Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang
zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender
Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 134, 106 <117 Rn. 34>).
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Der hier einschlägige Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wurde verfassungsrechtlich dahingehend konkretisiert,
dass die Berufung zuzulassen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz
oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten
in Frage gestellt wird (vgl. BVerfGE 110, 77 <83>; 125, 104 <140>; 134, 106
<118 Rn. 36>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 18. Juni 2019 – 1 BvR 587/
17 -, Rn. 32; stRspr). Die Handhabung des Zulassungsgrundes ernstlicher Zweifel ist
dann mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, wenn das Gericht in sachlich nicht
mehr zu rechtfertigender Weise und damit objektiv willkürlich verneint, dass schlüssige
Gegenargumente gegen einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche
Tatsachenfeststellung bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats
vom 18. Juni 2019 – 1 BvR 587/17 -, Rn. 32).
b) Ausgehend hiervon genügt der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs
nicht mehr den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen. Es fehlt
an einer nachvollziehbaren Begründung der Annahme, aus dem Zulassungsvorbringen
ergäben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen
Urteils.
aa) Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung tragend darauf gestützt, dass
die streitbefangene Mauer außerhalb des im Bebauungsplan festgesetzten Baufensters
liege und daher gegen das Verbot sämtlicher Nebenanlagen nach der bauplanungsrechtlichen
Festsetzung A 6 verstoße.
Dieser Erwägung hat die Beschwerdeführerin im Berufungszulassungsverfahren
Folgendes entgegengesetzt: Die bauordnungsrechtliche Festsetzung B 7, wonach
Einfriedungen nur bis zu einer Höhe von 1,0 m zulässig seien, sei nicht von § 111
LBO in der bei Erlass des Bebauungsplans geltenden Fassung gedeckt. Nach dieser
Vorschrift hätten die Gemeinden die Art und Höhe von Einfriedungen nur zur Abwehr
von Verunstaltungen regeln dürfen, nicht auch zur Durchsetzung gestalterischer Vorstellungen.
Da Hecken und Zäune mit einer Höhe von mehr als 1,0 m nicht typischerweise
verunstaltend wirkten, könne der Ausschluss von Einfriedungen mit mehr als
1,0 m Höhe nach der bauordnungsrechtlichen Festsetzung B 7 nicht auf § 111 LBO
gestützt werden. Die Nichtigkeit dieser Festsetzung erstrecke sich auf das bauplanungsrechtliche
Verbot sämtlicher Nebenanlagen nach der Festsetzung A 6. Da hier
ein Satzungsverbund von bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Regelungen
bestehe, gälten die allgemeinen Grundsätze für die Fehlerfolgen bei Nichtigkeit einzelner
Festsetzungen. Danach führe die Nichtigkeit einzelner Festsetzungen insoweit
nicht zur Nichtigkeit der übrigen Festsetzungen, als diese für sich betrachtet noch eine
sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken könnten und die Gemeinde auch einen
Plan mit dem eingeschränkten Inhalt beschlossen hätte. Ausgehend davon ziehe
die Nichtigkeit der Festsetzung B 7 diejenige der Festsetzung A 6 nach sich. Denn
in der Festsetzung B 7 komme der Wille der beklagten Stadt zum Ausdruck, Einfriedungen
auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zuzulassen. Diesem
Willen wäre bei fortbestehender Wirksamkeit der Festsetzung A 6, der sämtliche Ne-
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benanlagen und damit auch Einfriedungen ausschließe, nicht mehr Rechnung getragen.
Daher stünden die Festsetzungen A 6 und B 7 insoweit in einem untrennbaren
Zusammenhang. Bei Nichtigkeit beider Festsetzungen sei die streitgegenständliche
Mauer planungsrechtlich zulässig.
bb) Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs lässt nicht nachvollziehbar
erkennen, weshalb dieser Begründung kein schlüssiges Argument gegen die
maßgebliche Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zu entnehmen sein sollte,
die Mauer verstoße gegen das planungsrechtliche Verbot von Nebenanlagen nach
der Festsetzung A 6.
Der Verwaltungsgerichtshof lässt offen, ob die Auffassung der Beschwerdeführerin
zutrifft, dass das bauordnungsrechtliche Verbot von Einfriedungen, die die in der
Festsetzung B 7 genannten Bedingungen nicht erfüllen, wegen fehlender Rechtsgrundlage
nichtig ist. Denn die Nichtigkeit dieses Verbots ziehe „keineswegs“ den
von der beklagten Stadt nicht gewollten Ausschluss sämtlicher Nebenanlagen im Gebiet
des Bebauungsplans und damit auch nicht die Nichtigkeit des planungsrechtlichen
Verbots der Festsetzung A 6 nach sich. Vielmehr nötige die Festsetzung B 7 zu
einem einschränkenden Verständnis des generellen Verbots von Nebenanlagen in
der Festsetzung A 6 dahingehend, dass nach Maßgabe der Festsetzung B 7 zulässige
Einfriedungen von dem generellen Verbot ausgenommen seien. Ansonsten liefe
die Zulassung bestimmter Einfriedungen nach der Festsetzung B 7 leer.
Damit zieht der Verwaltungsgerichtshof die Festsetzung B 7 zu einer einschränkenden
Auslegung des Verbots nach A 6 heran, obwohl deren Nichtigkeit unterstellt wird.
Es wird nicht nachvollziehbar erläutert, weshalb eine nichtige Norm eine solche Wirkung
sollte entfalten können und sich nicht stattdessen entsprechend der von der
Beschwerdeführerin dargelegten Fehlerfolgenlehre die Nichtigkeit der Festsetzung B
7 mit Blick auf den – auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs – darin zum
Ausdruck gelangten Willen der Stadt, Nebenanlangen nicht generell auszuschließen,
auf das generelle Verbot in der Festsetzung A 6 erstreckt.
Soweit der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen sein sollte, dass sich eine
Nichtigkeit der Festsetzung B 7 wegen fehlender Rechtsgrundlage nur auf ein in der
Festsetzung enthaltenes Verbot der Errichtung von den Anforderungen nicht genügenden
Einfriedungen erstrecke, nicht jedoch auf eine in der Festsetzung ebenfalls
enthaltene Zulassung der übrigen Einfriedungen, fehlte es auch insoweit an einer
nachvollziehbaren Begründung. Dazu hätte Anlass bestanden. Denn die Beschwerdeführerin
hatte im Zulassungsverfahren vorgetragen, dass die Gemeinden nach §
111 LBO a.F. nur dazu befugt gewesen seien, die Art und Höhe von Einfriedungen
zur Abwehr von Verunstaltungen zu regeln, nicht jedoch mit gestalterischer Zielsetzung.
Ausgehend davon liegt es aber nicht ohne weiteres auf der Hand, dass eine
bauordnungsrechtliche Festsetzung, die sich auf die Zulassung bestimmter Einfriedungen
beschränkt, von dieser Ermächtigung gedeckt war. Auch erschließt sich nicht
ohne weiteres das Verhältnis einer solchen bauordnungsrechtlichen Zulassung be-
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stimmter Nebenanlagen zu dem bauplanungsrechtlichen generellen Verbot derselben
nach der Festsetzung A 6.
Nach allem ist die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, aus dem Zulassungsvorbringen
der Beschwerdeführerin ergäben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
der tragenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, mangels nachvollziehbarer
Begründung nicht mehr mit den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden
Anforderungen vereinbar.
2. Dagegen ist die Verfassungsbeschwerde im Übrigen unzulässig und daher nicht
zur Entscheidung anzunehmen. Sie genügt insoweit ersichtlich nicht den Anforderungen
von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG. Insoweit wird von einer weiteren
Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG,
die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung
mit § 14 Abs. 1 RVG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Masing Paulus Christ
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